Das schimpfen und meckern über die Anderen, die es nicht hinkriegen,
die Entscheider, die „keine Ahnung haben“
und ein „hin und her“ z.B. angesichts der Corona Maßnahmen
entlastet unser emotionales System nicht nachhaltig.
Kurzfristig tut es vielleicht noch gut, den Anderen und der Situation die Schuld zu geben.
Am Ende fallen wir doch auf uns und unsere menschlichen Grenzen zurück.
Die gute Nachricht ist, dass wir damit nicht alleine sind und alle (lokal, global und individuell) um ihre Haltung ringen.
Zitat einer Führungskraft: „Die letzten Monate waren gruselig, und ich bin froh dass ich mich darin „gehalten“ habe – jetzt fühle ich mich wieder offen für Neues“.
Im Auto auf dem Weg zur Arbeit heute lauschte ich der Botschaft der „Morgenandacht auf WDR 4. Die Aussage war: Klagen hilft!
Für mich war es hörens- und bedenkenswert. Ganz besonders das Klage-Gebet, das mich zu diesen Zeilen bewegte.
Am Ende stellte ich mir die Frage (ich war schließlich auf dem Weg ins Büro):
Verändert sich das Sinn erleben und die Produktivität der Menschen, wenn es am Arbeitsplatz Rituale des Klagens gibt?
Eine erste Antwort finde ich im Bedenken der Aussagen von Teilnehmenden aus Workshops.
Die inhaltliche Schnittmenge davon ist:
„Es tut gut, zu erleben, dass die Anderen auch ihre Probleme haben und nicht wissen, wo es lang geht.“
Viele wissen, dass sie im Rahmen Ihrer Führungsaufgaben gerade in Besprechungssituationen und im Einzelkontakt dazu beitragen können, dass der Mensch – Mensch sein kann.
Es sind die offenen und ehrlich gemeinten Einstiegsrunden vor den Inhalten einer Besprechung und die spürbare Offenheit im Zweiergespräch, die Menschen zum Sprechen und eben auch „zum Klagen“ einladen. Ob sie es dann auch tun, ist die zweite Frage.
Meist sind es die sich emotional sicher fühlenden Führungskräfte/Kollegen, die „einfach menschlich“ agieren, einen Austausch initiieren und sich dabei auch selbst zeigen mögen: Mit dem Ergebnis, dass alle Beteiligten sich verbunden fühlen können.
Leider ist das mit dem Fühlen im Zusammenhang mit produktiver und professioneller Arbeit für viele jedoch so kompliziert, dass sie der Komplexität des sozialen Miteinanders aus dem sprichwörtlichen Weg gehen.
Dabei ist die Erkenntnis weit verbreitet, dass die Beziehungsebene vor der Funktionsebene kommt.
Ja – die meisten Führungskräfte haben theoretisch verstanden, was praktisch dienlich sein könnte.
Zurück zum potenziellen Ritual des Klagens, wozu mich der Radiobeitrag inspirierte.
Ich bin dafür – wundert es jemanden?
Gerade weil ich mich an einen Führungskräfteworkshop erinnert fühle.
Da fragte mich ein Teilnehmender, nachdem wir ein Konzept von Joanna Macy besprochen hatten:
“ Im Gespräch mit dem Vorgesetzten empfinde ich immer wieder eine schmerzhafte Ohnmacht und Ärger. Habe ich wirklich die Chance, mich besser fühlen zu können, wirksamer zu werden, indem ich die Schmerzen fühlend zulasse?“
Die wichtigste Erkenntnis für ihn und alle anwesenden Personen war, dass er immer eine Wahl hat und trifft:
Entweder er geht am Schmerz vorbei und kompensiert seinen Ärger/das Aua, welches in ihm entsteht.
Oder er fühlt und erlebt seine Möglichkeiten, die er trotz Schmerzen hat, um dann auch anders zu handeln, z.B. mit Respekt sich selbst gegenüber.
Hier ende ich erst einmal mit meinen Gedanken.
Ich erinnere an das Plädoyer für eine klagende Kommunikation, die weder jammert – noch sich empört und dennoch zur Kraft des Mitgefühls mit sich selbst führt.
Ein Mitgefühl, das entstehen kann, wenn Mensch die Komfortzone verlässt und die eigene Verletzlichkeit „vis a vis“ wahrnehmend zulässt.
Werden dann andere Entscheidungen getroffen?
Namen & Quellen für weitere Neugier:
Joanna Macy – Tiefenökologie, Die Reise ins lebendige Leben usw.
Brené Brown – sie sagt von sich selbst, dass sie „eigentlich“ Verletzlichkeit hasst „The ability to connect is why we are here“
Arno Gruen – „die größte Kraft des Menschen entsteht aus der Annahme der eigenen Verletzlichkeit“